Interview mit Jan Fries von AbbrechenAbrechen: „Wir sind dialogbereit“
Jan Fries ist Gründungsmitglied der Initiative JustizzentrumErhalten/AbbrechenAbbrechen! und setzt sich mit anderen Aktivist*innen für den Erhalt des Münchner Justizzentrums in der Nymphenburger Straße aus dem Jahr 1977 ein. AbbrechenAbbrechen wurde mit der Eisbären-Aktion vor dem Justizzentrum schlagartig bekannt und das Thema Bau- und Wohnwende bekam ein Gesicht. Vor einigen Monaten ist die Initiative auch dem MIN-Bündnis beigetreten. AbbrechenAbbrechen organisierte in enger Kooperation mit der MIN und mit weiteren Bündnispartner wie ausspekuliert und Architects4Future eine Bustour durch München, bei der Leerstand und Abriss kritisch reflektiert wurde. Das gemeinsam erarbeitete Booklet stieß auf reges Interesse bei den Vertretungen aus Stadtrat und Verwaltung. Jetzt ist es Zeit, an die Forderungen zu Bau- und Wohnwende zu erinnern und weiter dazu im Gespräch zu bleiben. Im Sommer 24 startete auch die Verhandelbar unweit des Justizgebäudes. Seitdem ist die Diskussion um den Erhalt des Justizzentrums und des Gebäudebestands in München stärker in der Öffentlichkeit präsent.
Hier ein Gespräch Jan Fries, der beruflich als Stadt- und Regionalplaner unterwegs ist.
Das Kaut-Bullinger-Haus in der Nähe des Marienplatzes soll abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Wie findest du das?
Unsere Haltung ist wie beim Justizzentrum: Abriss ist Unsinn. Der Bestandsbau ist gut erhalten. Es geht darum, ein neues Gebäude mit einem Stockwerk mehr zu errichten, um etwas mehr Rendite aus dem Grundstück schlagen zu können. Einer unserer Kollegen hat sich als Eisbär Mitte Oktober schon vor das Kaut-Bullinger-Haus gesetzt. Fortsetzung folgt, wir wollen uns dazu positionieren.
Warum setzt ihr euch für den Erhalt des Justizzentrums ein?
Bei der Erhaltung des Justizzentrums steht wie bei allen anderen Gebäuden, die vom Abriss gefährdet sind, für uns der Klimaschutz im Vordergrund. Die Bestände binden graue Energie, die Klimabilanz kann mit einem Neubau nie ausgeglichen werden. Das bestätigt auch die Bundesstiftung Baukultur in ihrem Bericht von 22/23. Hinter Abrissen stehen immer Verwertungsprozesse. Und Abriss bedeutet ebenfalls immer Verdrängung und Gentrifizierung. Das ist ein Riesenproblem in München.
Gibt es Ideen zur Nutzung des Gebäudes?
Eigentlich ist unsere Haltung: es ist nicht an uns, hier Vorschläge zu liefern, diese sollten eher Ergebnisse eines öffentlichen Prozesses sein. Leider gibt der Freistaat bisher keinerlei Signale, irgendetwas in dieser Richtung initiieren zu wollen. Abbrechen/Abrechen hat deswegen im Frühsommer 24 einen Open Call für Ideen und Visionen für eine Umnutzung veranstaltet. Von utopisch bis realisierbar war unter den 121 Einreichungen alles dabei. Auch die Nachbarschaft aus dem Bennoviertel, das Viertel um das Justizgebäude, hat sich für einen Superblock (link) ausgesprochen und die riesige Garage des Justizgebäudes als Quartiersgarage vorgesehen und das Viertel verkehrsberuhigt zu gestalten. Mehr dazu auf der Website
Im Sommer gab es als Erweiterung von AbrechenAbrechen die VerhandelBar, die als öffentlicher Verhandlungsraum dazu einlud, Abriss und Leerstand als ökologisches und soziales Problem zu verhandeln. Wer steckt dahinter, was waren eure Highlights?
Die Idee entstand in Zusammenarbeit mit der diskursiven Architektur- und Stadtplanungszeitschrift Arch+ aus Berlin im Rahmen der Public Art München. Der Ort der VerhandelBar, eine Grünfläche in der Sandstraße, ca. 150 Meter vom Justizpalast entfernt, war eine ungenutzte Grünfläche, die wir temporär aufwerten konnten. Herzstück war unsere VerhandelBar, in der wir gemeinsam mit anderen Initiativen mit Konzerten, Workshops, Filmabenden und Führungen zu einem offenen und öffentlichen Diskurs einluden.
Sehr wichtig war uns auch eine Veranstaltung zur Erinnerungskultur. Im Justizzentrum fanden der NSU-Prozess und der Prozess gegen den Waffenlieferanten des Attentäters vom Olympia-Einkaufszentrum statt, zwei rechtsextreme Anschläge der letzten Zeit, bei denen sich unser Staat nicht mit Ruhm bekleckert hat. Wir glauben, dass das Justizzentrum ein geeigneter Ort für die Erinnerungskultur sein könnte.
Gemeinsam mit der Hans Sauer Stiftung boten wir auch Kartierungsspaziergänge an. Bei diesen ging es darum, im Westend und in Sendling mit Bürger*innen zusammen Leerstände und Abrissschicksale zu erfassen und über mögliche gemeinwohlorientierte Zukünfte nachzudenken.
Wie geht es mit der VerhandelBar weiter?
Seit Ende Oktober ist die Verhandelbar geschlossen. Wir wollen aber, dass der Pavillon, der zu einem großen Teil aus recyceltem Holz besteht, wieder einer sinnvollen Nutzung zugeführt wird.
Deswegen explizit unser Aufruf an die Bündnispartner*innen aus der MIN:
Meldet euch bei uns, wenn ihr im kommenden Jahr für ein Projekt o.ä. noch einen schönen Pavillon braucht! Wir können gemeinsam gerne die Möglichkeiten besprechen. Über einen Umbau lässt sich vielleicht auch reden :). Kontakt: justizzentrum@abbrechenabbrechen.de
Als Initiative werden wir gemeinsam mit Arch+ ein Nachfolgeprojekt „Tomorrow Is Already Built: Renegotiating the Future of Our Urban Space“ starten. Es hat keinen einzelnen Ort, sondern es wird Workshops, Performances und weitere Veranstaltungen in München, Berlin, Kassel und Brüssel geben. Das Projekt wird von der Allianz Stiftung unterstützt.
Wie würdet ihr euer Engagement für das Justizzentrum bewerten oder umgekehrt gefragt, was wäre, wenn ihr euch nicht engagiert hättet?
Mit unserem Engagement wollen wir zeigen, dass das Raumpotential in München in all seinen sozialen, ökologischen, politischen und kulturellen Aspekten neu verhandelt werden muss.
Durch eine gute Presse haben wir einen öffentlichen Diskurs geschaffen und auf städtischer Ebene etwas bewegt. In der letzten Zeit wurden im Stadtrat und auf Bezirksebene einige Anträge eingebracht die eine Kultur des Umbaus vorantreiben und deutlich von unserer Arbeit inspiriert sind. Auch im Landtag ist Ursula Sowa von den Grünen aktiv geworden, Ende November wird es im Landtag ein Hearing zum Thema “Umbauordnung” geben. Der Freistaat antwortet uns nicht mehr, sie basteln an ihrer Machbarkeitsstudie hinter verschlossenen Türen und reden nicht mehr mit uns, obwohl wir dialogbereit sind.
Vielen Dank für das Gespräch, Jan und viel Kraft für euer Engagement!