Abriss ist out: Die AbbrechenAbbrechen Stadtrundfahrt durch München
Am 6. Juni fand die AbbrechenAbbrechen Bustour durch München statt. Stellvertretend für viele andere Gebäude wurden prominente Beispiele der Kategorien Wohnen, Gewerbe und öffentliche Bauten besichtigt. Die Stadtrundfahrt diente dazu, Leerstände im Bestand aufzuzeigen und über deren möglichen Abrisse zu diskutieren. Organisiert wurde die Bustour von AbbrechenAbbrechen in Kooperation mit der Münchner Initiative Nachhaltigkeit, der Hans Sauer Stiftung, Architects 4 Future und #ausspekuliert.
Das Motto der AbbrechenAbbrechen Bustour lautete «Potenziale unserer gebauten Stadt hegen und pflegen». Ein gemütlicher Oldtimerbus brachte die Teilnehmenden, darunter waren Vertreter*innen aus Stadtrat, Landtag, weitere Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, sowie Medienschaffende, zu Orten und Gebäuden, die ihre ursprüngliche Nutzung verloren haben und deren Zukunft entweder ungewiss oder bei denen die Entscheidung für Abriss bereits gefallen ist.
Auf der Fahrt und an den Haltestationen gab es interessante Inputvorträge von Expert*innen und Wissensträger*innen: Zu Hintergründen der geplanten Abrisse, Folgeerscheinungen, Entscheidungsfindungen und weiteren übergeordneten Themenfeldern.
Auch einige Eisbären waren bei der AbbrechenAbbrechen Bustour dabei! Sie identifizierten den Münchner Gebäudebestand als großes Potenzial für neuen Wohn- und Lebensraum. Dies untermauerten sie durch die Verleihung verschiedener Auszeichnungen für prominente Gebäude-Beispiele.
Hintergrund der Fahrt
Anlass der Fahrt durch München ist der bedrohte Gebäudebestand. Wie umgehen mit dem bereits vorhandenen Immobilienbestand, wenn ehemalige Nutzungen entfallen, wenn der Energieverbrauch nicht mehr den heutigen Standards entspricht, wenn eine Weiternutzung des Gebäudes ungewiss erscheint?
An vielen Orten der Erde schwindet aufgrund des Klimawandels Lebensraum. Bauen ist Ressourcen- und Energieaufwand:
40 % des ges. deutschen CO2-Ausstoßes geht auf den Bau und Betrieb von Gebäuden zurück
52 % des deutschen Müllaufkommens fällt alleine durch unsere Baubranche an
90 % der mineralischen, nicht nachwachs-enden Rohstoffe werden zu Baustoffen
Mit dem Abriss eines jeden Gebäudes wird die Energie, die für Material, Logistik, Baukonstruktion und Arbeitskraft aufgewendet wurde, vernichtet. Die Ersatzbebauung erfordert entsprechend neuen Energieeinsatz. Hier werden Ressourcen aufgewendet, die durch Erhalt und Weiterentwicklung des Bestands gespart werden können.
Nicht nur für das Klima, sondern auch für die Stadt und ihre Bewohner*innenschaft bieten bestehende Räume große Chancen – als sozial gemischte Orte, an denen die Stadtgesellschaft zusammenfindet; an denen zufällige Begegnungen und unkommerzielles Beisammensein stattfinden können, Kunst und Kultur passiert, Jung und Alt aufeinandertreffen und an denen verschiedenste Menschen in München in den Austausch treten.
Die Impulsgeber*innen
Theresa Wagner von Architects 4 Future
Architects 4 Future steht solidarisch zur Fridays 4 Future-Bewegung und setzt sich für die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens und die Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5° ein. Theresa Wagner und ihre Kolleg*innen sind in und mit der Baubranche beschäftigt, arbeiten ehrenamtlich und gemeinnützig in der Bewegung sowie auf Vereinsebene und setzen sich für einen nachhaltigen Wandel im Bauwesen ein.
Theresa Wagner beschäftigt sich bereits seit einigen Jahren neben ihrer beruflichen Tätigkeit als Architektin mit dem Thema „Nachhaltigem Bauen“ und wie eine Bauwende gelingen kann.
Felicia Rief von #ausspekuliert
#ausspekuliert ist eine Bürgerinitiative, die sich durch regelmäßige Mieter*innenstammtische und kreative Aktionen für bezahlbaren Wohnraum und gegen soziale Ausgrenzung in München einsetzt. #ausspekuliert ist außerdem ständiges beratendes Mitglied im Mieterbeirat München.
Felicia Rief ist Projektleitung bei der Münchner Initiative Nachhaltigkeit und Mitgründerin des Tiny PopUp München, wo sie mit ihrem Partner Umweltbildung anbietet. Da in München Wohnen immer mehr zum Luxus wird, den man sich leisten können muss, engagiert sich Felicia ehrenamtlich bei #ausspekuliert für bezahlbaren Wohnraum.
Stephan Reiß-Schmidt von der Initiative für ein soziales Bodenrecht und BÜNDNIS BODENWENDE
Stephan Reiß-Schmidt ist freier Berater und Autor für Stadt- und Regionalentwicklung. Im Rahmen der Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht und des bundesweiten BÜNDNIS BODENWENDE engagiert er sich für eine gemeinwohl-orientierte Bodenpolitik. Bis 2017 leitete er die Stadtentwicklungs-planung bei der Landeshauptstadt München. Nach dem Architektur- und Städtebaustudium an der RWTH Aachen und der Großen Staatsprüfung war er bis 1996 im Ruhrgebiet tätig und u.a. an zahlreichen Projekten der IBA Emscher Park beteiligt.
Cornelius Heisse von der Manufaktur 8 – Münchner Initiative Nachhaltigkeit
Die Münchner Initiative Nachhaltigkeit – kurz MIN – ist ein offener, überparteilicher Zusammenschluss von überwiegend zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich in München für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen. Die Manufaktur 8 setzt sich dafür ein, eine gute Beteiligungskultur in München weiterzuentwickeln. Dazu gehören ebenso attraktive Formate wie passende Einladungswege: als Präsenz- oder Online-Beteiligung oder im Mix.
Cornelius Heisse will durch seine Arbeit, ehrenamtlich wie hauptberuflich, bessere Dialoge initiieren und die Lösungen für die Zukunft resilienter und inklusiver gestalten.
Nadja Hempel und Ralph Boch von der Hans Sauer Stiftung
Die Hans Sauer Stiftung engagiert sich für sozial-ökologische Innovationen. Seit 2022 beschäftigt sich die Stiftung dabei mit Citizen Science, einem Ansatz, bei dem Wissenschaftler*innen gemeinsam mit Nicht-Wissenschaftler*innen forschen. Sie nehmen aus unterschiedlichen Gründen an den Forschungsprojekten teil: Neugierde und Lust am Lernen, persönliche Betroffenheit oder Freude am gemeinsamen Prozess.
Hintergrundinfos zu Gebäuden und Stationen
Hier findest Du die Fahrtroute!
Siedlung Harthof
In den 16 zweigeschossigen Mehrfamilienhäusern befinden sich ca. 350 Bestandswohnungen. In der näheren Umgebung wurden schon einige Häuser der GWG abgerissen und neu gebaut.
Stellvertretend für alle Eigentümer der städtischen Gebäude in München verliehen die Eisbären Herrn OB Dieter Reiter den AbbrechenAbbrechenAward in SILBER für das größte Potenzial für die Wirksamkeit eines Abrissmoratoriums vor Ort und das größte Potenzial für einen skalierbaren Lerneffekt.
Tengstraße 7
Das ehemalige Kapuzinerkloster steht seit 2013 leer. Das Baurecht für den Ersatz des Kloster- und Pfarrgebäude aus den 1950er Jahren ist für einen Neubau auch hinsichtlich des Denkmalschutz / Ensemble-Charakters ausgeschöpft. Durch den Abbruch werden ca. 1.000 to CO² berechnet, in etwa die Menge, die bei der Beheizung von 28 Einfamilienhäusern mit Gas in 10 Jahren freigesetzt werden.
Stellvertretend für den Eigentümer des gesamten kirchlichen Immobilienbestandes in München verliehen die Eisbären Herrn Kardinal Reinhard Marx den AbbrechenAbbrechen-Award in GOLD für die Gründung eines christlich-sozialen Immobilienrats.
Hauptbahnhofviertel & Schwanthalerstraße
Während Rundfahrt wurden einige Gebäude und Straßenabschnitte wie z. B. Hotel Königshof am Stachus, Neues Karstadt Gebäude in der Schützenstraße, der Hautpbahnhof und die Schwanthalerstraße von den Sitzplätzen aus besichtigt.
Stellvertretend für die Eigentümer und Investoren der Gewerbeimmobilien im Hauptbahnhofviertel die zu reinen Investobjekten verkommen sind, verliehen die Eisbären Herrn René Benko von der Signa Holding den AbbrechenAbbrechenAwardin BRONZE für das größte und opportunistischste Manöver zur Sichtbarmachung des Spekulationsgeschehens.
„Sheraton“ am Heimeranplatz
Von der Eröffnung 1984 bis zur Schließung 2020 diente das Sheraton als Luxushotel für “Geschäftsmänner & Messebesucher”. Seit 2022 mietet die Stadt das Gebäude als Unterkunft für geflüchtete Menschen – die größte in München. Hier erhalten sie mithilfe sozialer Träger Raum und lebensnotwendige Ressourcen. Würde das Gebäude abgerissen werden, würde ihnen der ihnen zustehende Raum wieder genommen. Zudem wäre ein CO²-Eintrag von ca. 14.000 to zu verantworten. Damit könnten ca. 388 durchschnittliche Einfamilienhäuser 10 Jahre lang mit Gas weiter schmutzig beheizt werden.
Die Eisbären verliehen einen weiteren AbbrechenAbbrechen-Award in BRONZE an Unbekannt für den größten Einfluss auf die Stadtentwicklung ohne Gesicht.
Strafjustizzentrum
Nach aktuellen Planungen wird 2025 am Leonrodplatz, etwas weiter stadtauswärts, der Neubau des Strafjustizzentrums bezugsfertig sein. Die Zukunft des alten Objekts wird seit über 10 Jahren mal mehr, mal weniger aktiv diskutiert. Seit der Gründung der Initiative wird die Debatte aktiver und ganzheitlicher geführt, aber leider noch nicht öffentlich genug. Die Anliegen der Initiative werden vonzahlreichen Akteur*innen aus Fachwelt und Zivilgesellschaft unterstützt.
Das öffentliche Interesse hat den zuständigen Bauminister, Christian Bernreiter, zu einer Stellungnahme bewogen, die für die freiwerdende Liegenschaft so viel bezahlbaren Wohnraum wie möglich. Ein Bestandserhalt wird nicht mehr ausgeschlossen. Angesichts des vielfältigen Raumprogramms des Ensembles ist die Zielvorgabe allerdings möglicherweise zu kurz gegriffen.
Abriss-Atlas
Der Abriss-Atlas ist eine digitale Plattform, die als interaktive Karte die wachsende Anzahl an vom Abriss bedrohten und kürzlich abgerissenen Gebäuden sichtbar macht und steckbriefartige Informationen zum Gebäude, Abrissjahr- und Abrissgrund sammelt. Der Abriss-Atlas hilft, verlässliche Daten für eine klima- und sozial gerechte Bauwende zu generieren. Denn ein besonnener Umgang mit dem Baubestand schont Ressourcen, spart Energie, vermindert CO2-Emissionen, aktiviert Leerstand und begegnet Verdrängungseffekten. Das Statistische Bundesamt geht von ca. 14.000 Gebäudeabrissen pro Jahr aus, aber die Dunkelziffer liegt viel höher, weil in weiten Teilen Deutschlands keine Abrissgenehmigung erforderlich ist. Um diese Informationslücke zu schließen, gibt es den Abriss-Atlas.
Wie soll es weitergehen?
Programmankündigung VerhandelBar:
Die VerhandelBar startet am 18.07.2024 als Diskussions- und Ausstellungsraum auf der Grünfläche mit Brunnen gegenüber der Sandstraße 47a.
Programmankündigung OpenCall:
Die Initiative AbbrechenAbbrechen hat vor kurzem einen OpenCall zur Zukunft des Strafjustizzentrums ausgerufen. Die Abgabefrist war am 07.06.2024, die Jurysitzung findet öffentlich am 15.07- 16.07.2024 statt.
Vernetzungstreffen gerechtes Wohnen und Bauen:
Seit 2023 organisiert die Münchner Initiative Nachhaltigkeit regelmäßig Vernetzungstreffen zu gerechtem Wohnen und Bauen für engagierte Initiativen und Organisationen der Stadt. Es können Kontakte geknüpft und Projektideen ausgetauscht werden, um Mitstreiter*innen zu finden. Von einer besseren Vernetzung der Szene profitiert letztlich die ganze Stadtgesellschaft, die wie keine andere in Deutschland unter hohen Mieten und ungenutzten Raumpotenzialen leidet.
Kontakt: felicia.rief@m-i-n.net
Hier findest Du das Booklet!
Auch die Presse hat über die Bustour berichtet:
Süddeutsche Zeitung
Abendzeitung
Abriss, Bauen im Bestand, Bustour, Eisbären, Gebäude, Oldtimerbus, Stadtentwicklung