(M)unterwegs im Sommer − eine Rückschau
Projekte für zukunftsgerechte Stadträume und nachhaltige Mobilität
Mit konkreten Projekten zeigen, wie zukunftsgerechte Stadträume und nachhaltige Mobilität in München aussehen können − das ist das Ziel der Initiativen und Organisationen, die sich als Aktionsgruppe (M)unterwegs zusammengeschlossen haben. Im vergangenen Sommer realisierten sie eine Vielzahl an Projekten, die den öffentlichen Straßenraum in München bereicherten. Entstanden sind eine Vielzahl neuer Angebote, Räume zum Verweilen und Zusammenkommen, attraktives Grün und jede Menge Events und Aktionen. So haben alle Mitwirkenden ein lebendiges und vielfältiges Bild gezeichnet, wie Räume städtischer Mobilität nachhaltiger und gerechter gestaltet werden können.
Viele der Projekte wurden im Rahmen des zweiten Münchener Mobilitätskongresses der Stadt München durch das Mobilitätsreferat gefördert. Insgesamt neun Gruppen und Initiativen konnten sich zu Beginn des Jahres in einem Wettbewerb durchsetzen und bekamen durch den Stadtrat eine Förderung zugesprochen. Um die Kräfte zu bündeln und ihren Projekten gemeinsam Nachdruck zu verleihen, haben die geförderten Gruppen mit weiteren Initiativen die Aktionsgruppe (M)unterwegs gegründet. Gerade zu Beginn des Sommers standen die bürgerschaftlichen und teils ehrenamtlichen Initiator*innen vor großen Herausforderungen wie hohem Zeitdruck, kurzen Fristen und finanziellen Unsicherheiten. Um gemeinsam munter in Aktion für die Mobilitätswende zu bleiben und mit starker Stimme die Unterstützung der Stadtverwaltung einzufordern, wurde die Aktionsgruppe ins Leben gerufen. Dabei profitieren die Beteiligten auch von dem Wissensaustausch und der Vernetzung untereinander.
Zusammenkommen und Austauschen
Mehr Raum für Menschen − unter diesem Motto kann man viele der Projekte zusammenfassen. Auf kreative Art und Weise wurden Parkplätze und überdimensionierte, eigentlich gar nicht benötigte Straßenflächen zu neuen kleinen Orten mit vielfältigem Angebot. Zum Beispiel in der Landwehrstraße im südlichen Bahnhofsviertel: Hier realisierte die Gruppe FreiRAUM Viertel insgesamt vier Parklets. Die Plattformen aus Paletten und Holz brachten neue Angebote in das geschäftige Treiben der Landwehrstraße: Sie boten die Möglichkeit, Fahrräder und Lastenräder auszuleihen und abzustellen oder sich einfach niederzulassen, geschützt vom Verkehr und umgeben von Pflanzen. Ziel von FreiRaum Viertel war dabei auch der laufende Austausch mit den Menschen vor Ort darüber, wie Orte wie die Landwehrstraße nachhaltig ein breites Mobilitäts- und Aufenthaltsangebot bieten können.
Freiraum-Viertel, Hackenplatz und Ranertinsel
Eine ähnliche Idee verfolgte Green City mit einem Projekt in der Münchner Innenstadt. Der Hackenplatz, der vor allem als Durchgangsraum und Parkplatz genutzt wird, sollte seinem eigentlichen Namen nach zu einem tatsächlichen „Platz“ werden. Das Team von Green City schuf einen Ort zum Mitmachen, Verweilen, Entschleunigen und Feiern, indem der Platz mit viel Grün und einladenden Sitzgelegenheiten umgestaltet und durch ein vielseitiges Veranstaltungsprogramm aktiviert wurde. Ein Highlight war die „Brunnennacht“ mit Tanz, Feuer- und Licht-Shows. In Lochhausen konnte die Bürgervereinigung Lochhausen Langwied e.V. in der Ranertstraße einen Straßenabschnitt ausfindig machen, der in dieser Form eigentlich gar nicht für den Straßenverkehr benötigt wird. Die Idee der „Ranertinsel“ war geboren: Einen wirklichen Freiraum schaffen, der mit einem vielfältigen Programm den Sommer über Jung und Alt als Treffpunkt dient. Mit aus Paletten gestalteten, bepflanzten Abtrennungen und einem Staketenzaun wurde der Bereich vom Straßenraum abgetrennt. Ein vielfältiges Programm bot Flohmärkte, Lesungen, Schach- und Dartturniere, Gesang, Handwerk, Erste-Hilfe-Kurse und vieles Weitere.
Ranertinsel und Freiraumviertel
Experimentieren und Umgestalten
Das Prinzip des „Superblock“, nach dem in Städten wie Barcelona oder Paris in dichten städtischen Gebieten autofreie Straßenzüge entstehen, die von Anwohner*innen als Freiflächen genutzt werden können, ist Vorbild gleich zweier experimenteller Projekte bei (M)unterwegs. Der Lehrstuhl für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung der Technischen Universität München realisierte im Sommer in der Steinheilstraße und Enhuberstraße den „Miniblock Steinhuber„. Zahlreiche aufwendig gestaltete Parklets boten in den beiden Straßen in unmittelbarer Nähe zum TUM Stammgelände Möglichkeiten zum Sitzen, sich Treffen, Tischtennis spielen, Bücher tauschen und vielem mehr. Auftakt war ein großes Straßenfest: Mit Key Notes von Speaker*innen, offenem Austausch mit Bürger*innen, einer geführten Tour durch den Block und Live-Musik wurde das Straßenexperiment erlebbar gemacht.
Kazmairalle, Hackenplatz und Miniblock Steinhuber (Fotos: TUM)
Auch die Initiative Westend-Kiez verfolgt die Idee eines Superblocks für das Münchner Westend und hat dazu bereits verschiedene Sommer-Experimente durchgeführt. In einer spektakulären Aktion wurde diesen Sommer die Kazmairstraße auf einem Abschnitt von rund 200 Metern zur „Kazmair-Allee„: Insgesamt 10 Bäume wurden dort aufgestellt und prägten den Sommer über den Straßenraum. Mehrfach wurde die Straße auch für Events und Straßenfeste gesperrt und bot dann vor allem Kindern Spielaktionen und -möglichkeiten. Da die vom Baureferat Gartenbau zur Verfügung gestellten Bäume (Pflaumenblättriger Weißdorn) in ihren Pflanztrögen täglich Wasser benötigen, übernahmen einige Anwohner*innen, Geschäftstreibende sowie zwei Kindertagestätten eine Gießpatenschaft und versorgten die Bäume regelmäßig mit Wasser. Da vielen Anwohner*innen die Bäume so sehr ans Herz gewachsen sind, ist klar: Die Standorte der temporären Bäume sollen künftig durch feste, im Boden verwurzelte Baumpflanzungen eine Nachfolge finden. Auch bei der temporären Umgestaltung am Hackenplatz durch Green City wurde genau analysiert und begleitet: Als ein Ergebnis des Experiments sind Empfehlungen entstanden, wie der Platz nachhaltig weiterentwickelt und verbessert werden kann.
Informieren und begeistern
Radio Lora hatte im Bahnhofsviertel ein ganz besonderes Parklet eingerichtet: Aus dem „Open-Mic Studio“ sendete der nichtkommerzielle, freie Radiosender direkt aus der Schwanthalerstraße; von dort, wo sonst nur parkende Autos stehen. Dabei war das „offene Parkplatz-Studio“ nicht nur ein technischer Raum. Es lud Anwohner*innen und Menschen, die zufällig vorbeikamen, ein: mit Angeboten zum Verweilen wie Couch und Sessel, mit Informationen, mit Dialog und mit viel Grün. Im September, während der IAA Mobility, gab es laufend spannende Radiosendungen und Fachbeiträge zu Themen aus den Bereichen Mobilität, Verkehr und Stadtgestaltung sowie zum südlichen Bahnhofsviertel. Zu Wort kamen zahlreiche Expert*innen, u.a. aus dem Münchner Stadtrat, von der MVG oder dem Fahrgastverband Pro Bahn. Bürgerinnen und Bürger hatten die Möglichkeit, mit den Expert*innen ins Gespräch zu kommen. So zum Beispiel auch als sich der Mobilitätsreferent der Stadt München Georg Dunkel im Studio Fragen zur Mobilitätsstrategie der Stadt stellte.
Infobaum in der Kazmairallee und Open-Mic Studio von Radio Lora
Eine Verkehrswende-Tram brachte der BUND Naturschutz München im September auf die Schiene. Wer zu einer der kostenlosen Sonderfahrten der „Munich Central Tram“ zwischen Sendlinger Tor und Sonnenstraße zustieg, hatte die Möglichkeit, sich anhand Visualisierungen und Audioguide veranschaulichen zu lassen, was die Mobilitätswende konkret bedeuten könnte und wie der westliche Altstadtring zu einem grünen Central Park werden könnte. Alle Projekte der (M)unterwegs Partner*innen waren stark auf den Austausch mit der Bevölkerung vor Ort ausgerichtet und wollten für Themen der Nachhaltigkeit, zukunftsgerechten Mobilität und des Klimaschutzes klare Zeichen setzen. Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels stand dabei besonders in der Kazmair-Allee im Mittelpunkt. Neben dem direkten Austausch bei den regelmäßig veranstalteten „Gießgaudis“ gab es auch eine Plattform auf der ein Infobaum zur Klimafolgenanpassung und zum städtischen Hitzestress für Menschen und Bäume informierte. Die temporär aufgestellten Bäume zeigten dabei den Einfluss, den diese auf das Kleinklima haben.
Pflegen, Reparieren und Leihen
„Räder pflegen statt Gas zu geben“ hieß es bei Umlenken. Die Kooperation der Münchner Architekt*innen Eugen Happacher und Franziska Franken sowie Matteo Pelagatti und Niclas Reinke von studioende hatte sich zum Ziel gesetzt, am Kiliansplatz im Westend temporäre Reparaturufer in den Straßenraum zu pflanzen. Bewohner*innen des Viertels sollten dort ihre Fahrräder wieder funktionsfähig machen oder aus alten Fahrradteilen neue Räder zusammenbauen können. Dazu wurde aus recycelten Materialien wie alten Balkonbrüstungen eine visuell kraftvolle, blaue Plattform gestaltet. Den Sommer über wurden dort Werkzeuge zur Reparatur bereitgestellt und zahlreiche Workshops mit Unterstützung durch professionelle Bike-Mechaniker angeboten. Die blaue Plattform vom Umlenken ist dabei auch ein ästhetisches und architektonisches Highlight, das eindrücklich aufzeigt, welche gestalterischen Potentiale in Parklets und Scharnis schlummern können und wie zirkuläres Bauen künftig aussehen kann.
Umlenken, Büchertauschschrank bei Radio Lora und Fahrräder schrauben auf der Ranertinsel
Die Münchner Wohnungsbaugenossenschaft Kooperative Großstadt hat diesem Sommer bereits zum zweiten Mal den St.-Quirin-Platz in Giesing in eine lebendige und bunte Nachbarschaftsterrasse verwandelt. Unter dem Namen „Open Q – Mobilität bist Du!“ wurden auf dem temporär umgestalteten Gelände mit großer Bühne zahlreiche Events und Veranstaltungen durchgeführt. Das eigene Mobilitätsverhalten wurde in den Blick gerückt, mit Sharing-Station, angebotenen Lastenrädern, Fahrradwerkstatt und Workshops zur Reparatur und Pflege von Fahrrädern. Auch in Lochhausen auf der Ranertinsel wurden in Workshops Fahrräder geschraubt und Interessierten Informationen und Hilfestellung gegeben, wie man sein Fahrrad pflegt und damit mobil bleibt. Dass zum Schonen der Ressourcen auch der sorgsame Umgang mit Alltagsgegenständen gehört, war Thema beim Open-Mic-Studio von Radio Lora. Dort gab es Schränke zum Tauschen von Büchern und anderen Gegenständen, um diese weiter zu nutzen und im Kreislauf zu halten.
Einfach draußen sein, feiern und die Stadt genießen
Neben all den Aspekten um Nachhaltigkeit und zukunftsgerechte Mobilität stand bei den bürgerschaftlichen Projekten der (M)unterwegs Mitwirkenden immer auch eins im Vordergrund: Der Spaß am Zusammenkommen. Alle Projekte wurden durch zahlreiche Events, Aktionen und große Feste begleitet. Bei Open Q auf dem St.-Quirin-Platz gab es Zaubershows, Konzerte und ein Straßenfestival mit gratis Eis. Beim Mini-Block Steinhuber veranstaltete die TU München ein Freiluft-Straßen-Symposium mit musikalischer und gastronomischer Begleitung. Die Kazmair-Allee wurde während des „Alleen-Fests“ für Autos gesperrt und lud Kinder und Erwachsene ein zu Kinderflohmarkt, Musik und Spielaktionen des Vereins Spiellandschaft Stadt. Im Parklet von Frei-Raum-Viertel in der Landwehrstraße sorgte ein Konzert der Brass-Twins für Stimmung und für einen Perspektivwechsel im Straßenraum. Auch die Plattform bei Umlenken eignete sich nicht nur, um Fahrräder zu reparieren, sondern auch, um dort Musik zu machen. Jede Menge super Musiker*innen wie Sarah Sophie, Testbild 72, Creepy Fennels und Dürre Ringer performten dort in ihre Songs in den Abendstunden.
Mit den zahlreichen Events präsentierte (M)unterwegs auch einen Gegenentwurf zur „IAA Mobility“ die Anfang September in München stattfand. Dort stand hochpreisiger und ressourcenintensiver Individualverkehr im Fokus. Die Messestände der großen Automobilkonzerne nahmen die öffentlichen Räume der Stadt in Beschlag, häufig auch mit Einschränkungen für die Menschen, die dort normalerweise mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs sind. Die Aktionsgruppe (M)unterwegs und einige weitere Initiativen und Organisationen hatten dazu einen offenen Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter formuliert und darin konkrete Forderungen für eine wirkliche Mobilitätswende aufgestellt. Zukunftsgerechte Mobilität ist eben mehr als das Auto in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür machten während der IAA auch einige sich (M)unterwegs Projektpartner*innen auf dem Odeonsplatz stark. Wie die Mobilitätswende und ein zukunftsgerechter, öffentlicher Raum bürgerschaftlich und demokratisch weiterentwickelt werden können, zeigten hingegen auch die vielfältigen Veranstaltungen der (M)unterwegs Projekte.
Wie gehts weiter?
Auch nach Ende des Sommers und nach Abbau der Projekte besteht bei (M)unterwegs Einigkeit: Es soll auf jeden Fall weitergehen! Durch das geschlossene Auftreten der Initiativen und Gruppen hat (M)unterwegs eine starke Position, sich auch weiter für tolle Projekte und Interventionen einzusetzen, das zivilgesellschaftliche Engagement zu optimieren und weiter für eine nachhaltige Mobilität in Aktion zu treten. Man darf schon auf die nächsten großen Schritte für die Verkehrswende gespannt sein.
Mobilitätskongress, Mobilitätswende, Munterwegs, Öffentlicher Raum, Sommerexperiment