München könnte der Ernährungswende jetzt einen kräftigen Schub geben
Interview mit Daniela Schmid vom Klimarat
In unserer Interview-Reihe mit den zivilgesellschaftlichen Vertreter*innen des Klimarats haben wir mit Daniela Schmid gesprochen. Daniela Schmid arbeitet beim Tollwood-Festival als Projektleiterin für den Bereich „Mensch und Umwelt“ und engagiert sich auch im Ernährungsrat München e. V..
Deine beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten klingen nicht so, als ob du neue Aufgaben bräuchtest. Was war und ist deine Motivation, dich auch im Klimarat zu engagieren?
Meine Motivation war tatsächlich, ergänzende Expertise und Wissen in ein Gremium einzubringen, das die Stadt dabei unterstützen soll, möglichst schnell in die Klimaneutralität zu kommen. Und da gehört der Bereich der Ernährung und nachhaltige Lebensweise ganz maßgeblich dazu. Große Entscheidungen werden in der Politik getroffen und an dieser Stelle einzuwirken und Aufklärung leisten zu können, das fand ich verlockend.
Du setzt dich besonders für die Ernährungswende ein. Was verstehst du unter einer Münchner Ernährungswende?
Im Zentrum steht die Frage: Wie kann es eine Stadtgesellschaft schaffen, eine nachhaltige Form von Landwirtschaft zu unterstützen und zu fördern, die Ressourcen schont und damit auch das Klima, die Biodiversität, das Wasser und den Boden. Nachhaltige Landbewirtschaftung ist essentiell, damit auch zukünftige Generationen gesunde und wertvolle Lebensmittel erhalten können. Ernährung hat viele Facetten, auch eine soziale. Es gehört zur Daseinsvorsorge, allen Menschen hier in München den Zugang zu gesundheitsfördernden Lebensmitteln zu ermöglichen. Denn auch in München gibt es derzeit viele Menschen, die sich die guten Lebensmittel gar nicht leisten können, die von Ernährungsarmut betroffen sind und damit Chancen für ihr Leben verlieren.
Die Stadt kann wichtige Grundsatzentscheidungen treffen und die Ernährungswende richtig in Gang bringen. Dazu gehört die Umstellung auf nachhaltige Verpflegungssysteme im städtischen Wirkbereich, etwa in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Krankenhäusern, Senior*innenheimen und in städtischen Kantinen. Wenn die Nachfrage nach ökologischen, vor allem pflanzlichen Lebensmitteln steigt, kann dies dem Anbau und der Produktion von nachhaltigen Lebensmitteln in der Region eine richtige Schubkraft verleihen. Dann stellen konventionelle Betriebe auf Bio um, weil es einen Absatzmarkt gibt.
Wo steht die Stadt heute im Hinblick auf das gesteckte Ziel, 2035 klimaneutral zu sein?
Wir sind auf dem Weg, dennoch gibt es noch wahnsinnig viel zu tun und wir merken immer wieder, dass die Ansätze und Interessen sehr divers sind, wenn es um den Weg zur Klimaneutralität und die Geschwindigkeit der Prozesse geht.
Da dranzubleiben und immer wieder einzufordern, progressiv die für die gesamte Gesellschaft richtigen Entscheidungen zu treffen, ist ein ganz intensiver Prozess, der auch immer wieder stoppt.
Schaffen wir das noch?
Wir müssen auf jeden Fall ordentlich Gas geben und es müssten sämtliche politischen und wirtschaftlichen Interessen sehr viel stärker gemeinwohnorientiert ausgerichtet werden als bisher.
Was kann jeder dazu beitragen?
Jeder einzelne sollte den eigenen Konsum reduzieren, sich auf das Wesentliche fokussieren, im Haushalt möglichst wenig verbrauchen. Auf die Ernährung bezogen heißt das eine maximale Reduktion von tierischen Produkten und die Wahl von Nahrungsmitteln, die einen möglichst kurzen Transportweg haben. Zusammengefasst und in Schlagworten heißt das: pflanzenbetont, regional, saisonal und ökologisch in der Kombination. Und wenn es ein Sonntagsbraten sein muss, dann besser von einem Ökobetrieb, der die Tiere artgerecht hält und wo die Tiere draußen sein dürfen. Ökologische, ethische und ökonomische Vorteile gehen Hand in Hand. Gut für die Umwelt, für die Tiere, für den Geldbeutel und für die eigene Gesundheit – wenn das keine Win-Win-Situation ist!
Hast du das Gefühl, ihr als Klimarat werdet von der Stadt gehört?
Ich glaube, wir werden sehr ernst genommen, wir werden in großen Teilen vom Stadtrat gehört. Wir nehmen wahr, dass die Stellungnahmen, die wir abgeben, gelesen und beachtet werden. Aber es ist natürlich mitnichten so, dass Stellungnahmen von uns eins zu eins umgesetzt werden.
Was könnte verbessert werden?
Ich würde mir wünschen, dass wir viel frühzeitiger in große Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden, dass wir auch die Möglichkeit haben, mal ganz konzentriert Aufklärungsarbeit zu leisten, wie beispielsweise in Stadtratshearings, damit Entscheidungen auf wissenschaftlichen und faktenbasierten Grundlagen getroffen werden.
Du bist selbst auf einem Biobauernhof aufgewachsen. Das klingt nach „heiler“ Welt. Welchen Einfluss hatte das auf dein Bewusstsein?
Heile Welt? Ich habe in den 80er Jahren ein krasses Bauernsterben miterlebt, ein Sterben von kleinbäuerlichen Strukturen und kleinen Betrieben, die sich auf Grund von Industrialisierung und Dumpingpreisen nicht mehr tragen konnten. Höfe, die über Generationen weitervererbt wurden, von Bauern und Bäuerinnen, die intensive Beziehungen zu den Tieren hatten. Die Landwirtschaft wurde automatisiert und mechanisiert, sowohl die Tierhaltung als auch im Ackerbau. Die Folge war die Massentierhaltung, mit allen Konsequenzen: reine Stallhaltung, Soja aus Lateinamerika und Antibiotika. Es wurde auf Masse gesetzt, nicht auf Qualität. Natürlich war vor den 80ern nicht alles gut, aber das Bauernsterben hat mich nachhaltig beeinflusst. Meine Eltern konnten den Hof aufrechterhalten, sie waren Biobauern der ersten Stunde. Und die Biobranche hat faire Preise an ihre Landwirt*innen gezahlt.
Vielen Dank, Daniela und viel Kraft für dein weiteres Engagement!