Interview mit der Münchner Gleichstellungsbeauftragten Nicole Lassal
Im Berufsleben immer die eigene Existenzsicherung im Auge behalten
Am 29. Februar findet zum ersten Mal der Equal Care Day in München statt. Das Interesse an der Veranstaltung ist sehr groß, es gibt keine Karten mehr. Offensichtlich gibt es (auch) in München in Sachen Gleichstellung noch viel zu tun.
Wir sprachen mit Nicole Lassal. Sie ist Gleichstellungsbeauftragte der Stadt München.
Seit 1985 gibt es in München die Gleichstellungsstelle für Frauen. Sie kümmert sich unter anderem um die Chancengleichheit von Frauen und Männern. Wie beschreiben Sie die Situation der Gleichstellung in München?
Bei der Landeshauptstadt München haben wir als Arbeitgeberin durch viele Maßnahmen der betrieblichen Gleichstellung erreicht, dass knapp 50 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt sind oder dass es Kontingentangebote zur Kinderbetreuung in städtischen Einrichtungen gibt.
In der Stadtgesellschaft stellen wir aber die gleichen Gleichstellungsdefizite wie in anderen Kommunen fest: So sind Frauen in München im bundesweiten Vergleich in München überdurchschnittlich vom Gender Pay Gap und Gender Care Gap betroffen. Positiv ist die politische Repräsentanz von Frauen im Münchner Stadtrat, wo wir eine Frauenquote von ungefähr 45 Prozent haben im Vergleich zum Bayerischen Landtag, der mit 25 Prozent bundesweit an letzter Stelle liegt. Ein weiterhin drängendes Thema ist die geschlechtsspezifische Gewalt, wo wir auch in München noch viele Handlungsbedarfe haben.
Wie wirken sich geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf Frauen aus?
Die faire Verteilung und Entlohnung der Sorge- und Erwerbsarbeit ist das gesellschaftspolitische Thema: Je mehr Zeit für Sorgearbeit aufgewendet wird, desto weniger Zeit bleibt für die Erwerbsarbeit, berufliche Weiterbildung und Regeneration. Frauen leisten in Paarhaushalten in jeder Konstellation mehr Sorgearbeit als ihre Partner. Je nach Alter und Anzahl der Kinder oder bei der Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger verzichten Frauen mehr zugunsten der unbezahlten Sorgearbeit auf bezahlte Erwerbsarbeit. Entsprechend sind sie während der Erwerbstätigkeit von Gender Pay Gap, im Alter vom Gender Pension Gap betroffen.
Glauben Sie, dass die Gleichstellung in einer so teuren Stadt wie München für Frauen und Familien besonders schwierig ist?
Auch in München sind die überwiegende Mehrheit der Alleinerziehenden Frauen, die überproportional zu den armen Haushalten gerechnet werden müssen. Eine bedarfsgerechte Kinderbetreuungsinfrastruktur ist für die Existenzsicherung von Familien unerlässlich und insbesondere von Ein-Eltern-Familien für die Altersspanne von 0 bis 12 Jahren anzubieten, das ist in München trotz aller Anstrengungen immer noch schwierig.
Alte Frauen beziehen in München geringere Durchschnittsrenten als Männer und sind dafür bei der Beantragung von Grundsicherung vorne. Die hohen Lebenshaltungskosten in München verschärfen für Frauen besonders diese Lebenssituationen.
Sie haben bereits die ungleiche Bezahlung – den Gender Pay Gap – angesprochen. Wie ist die Situation in München?
Die Erwerbsquote von Frauen ist zwar in den letzten Jahren stark gestiegen und mittlerweile beinahe so hoch wie die von Männern. Auch wenn junge Frauen die besseren Schulabschlüsse machen, so entscheiden sie sich immer noch stereotyp häufig für Berufe, die geringer entlohnt sind. Im Lebensverlauf unterbrechen Frauen wegen der Sorgearbeit die Berufstätigkeit und/oder arbeiten in Teilzeit bzw. in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Dadurch bleibt Frauen der Weg in Führungspositionen und höhere Vergütungen häufig verwehrt. Entsprechend sind sie während der Erwerbstätigkeit von Gender Pay Gap betroffen, der in München sogar noch über dem Bundesdurchschnitt liegt.
Was können und müssen wir ändern, um in einer caregerechten Arbeitswelt zu leben?
Angemessene Bezahlung für „typische Frauenberufe“, die paritätische Verteilung von Erziehungs- und Pflegezeiten, bedarfsgerechtes Angebot an Kinderbetreuung sowie Pflegeplätze und Pflegedienstleistungen, wirksame Maßnahmen gegen den Gender Pay Gap. Mein Appell an junge Frauen: Bei der Berufswahl und im Verlauf des Arbeitslebens die eigene Existenzsicherung immer im Auge behalten.
Vielen Dank für das Interview!
Die Organisator*innen des Equal Care Day kommen aus vielen Bündnissen und Organisationen. Auch die Stadt München ist ein Bündnispartner. Mehr Informationen zum Equal Care Day!