Donnerstag, 29. Februar 2024, 9:00 bis 20:00 Uhr
Kulturzentrum LUISE, Ruppertstraße 5, München
Zum ersten Mal gab es unter dem Motto „Care Utopien“ in diesem Jahr auch in München eine Veranstaltung zum Equal Care Day. Das Münchner Bündnis Equal Care, das sich die gerechte Verteilung von Sorgearbeit auf die Fahnen geschrieben hat, lud alle Interessierten ein, sich auf einer großen ganztägigen Veranstaltung irgendwo zwischen Konferenz und Festival mit den großen Fragen unserer Zeit zu befassen: Wer sorgt unter welchen Bedingungen und kann gesellschaftliche Fürsorge unter heutigen Bedingungen überhaupt noch aufrechterhalten werden?
Die Keynote zum Auftakt kam von SPIEGEL-Bestseller Autorin Mareice Kaiser (Das Unwohlsein der modernen Mutter). Auf dem Podium nahm sich Moderatorin Barbara Streidl (Bayerischer Rundfunk) mit ihren Gästen der Frage an, wie eine care-gerechte Arbeitswelt aussehen könnte. Am Nachmittag waren die Teilnehmer*innen eingeladen, sich in Workshops zu den Themen „Progressive Männlichkeit“, „Care-Chains“, „Pflegende Angehörige“ und „Eltern von Kindern mit Behinderungen“ auszutauschen und Forderungen an die Politik zu formulieren.
Und weil der bundesweite Equal Care Day in diesem Jahr nicht nur eine Fachkonferenz, sondern auch ein Festival war, wurde die Veranstaltung durch Kunst, Kultur und Musik gerahmt: Die beiden Wortkünstlerinnen Meike Harms und Jesse James LaFleur boten dem Publikum zur Abwechslung eine poetische Perspektive auf das Thema. Nachmittags sang der Frauenchor Witches of Westend. Zum Ausklang spielte am Abend die Münchner Band Blushy AM.
Die Gleichstellung der Geschlechter ist in Deutschland noch lange nicht so weit fortgeschritten, wie sie sein könnte.[1] Frauen verdienen immer noch deutlich weniger als Männer (Gender Pay Gap) und haben wegen geringerer zeitlicher Ressourcen auf Grund von unbezahlter Sorgearbeit häufig auch nicht die Möglichkeiten, ihre Interessen in politischen Prozessen gleichwertig zu vertreten und durchzusetzen. Frauen leisten in Deutschland mit 80 zu 20 deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit, was neben der geringeren Bezahlung eben auch zu schlechteren politischen Einflussmöglichkeiten führt. Auch von Altersarmut sind Frauen auf Grund des Gender Care Gaps häufiger betroffen als Männer.
Gleichzeitig ist der Gender Care Gap auch ursächlich für viele gesamtgesellschaftliche Probleme, wie die Bildungs-, Betreuungs- und auch die Pflegekrise. Denn auch professionelle Sorgearbeit (z.B. Alten- und Krankenpflege, Kinderbetreuung) bekommt nicht die Anerkennung, die diesen systemrelevanten Berufen eigentlich zustehen müsste. Als traditionelle Frauenberufe werden sie meist schlecht bezahlt. Als Bereiche, die nicht unmittelbar der Wirtschaft zuzuordnen sind und keine Profite abwerfen, sind sie oft zusätzlichen Sparmaßnahmen ausgesetzt, so dass sich die Arbeitsbedingungen zunehmend verschlechtern. Das Resultat ist, dass viele Arbeitskräfte diese Branchen verlassen und sich die Bedingungen für die Verbliebenen weiter verschärfen. Dies wiederum hat Auswirkungen auf den Fachkräftemangel im Allgemeinen: Wo zunehmend Betreuungsplätze für Kinder wegfallen, bleiben Frauen vermehrt dem Arbeitsmarkt fern.
Das Problem des Gender Care Gap und der damit verbundenen Care-Krise hat auch eine globale Dimension: Die Care Chains. Immer mehr Fachkräfte werden aus ärmeren Ländern angeworben, die häufig für niedrige Bezahlung in Deutschland und Europa arbeiten und letztendlich als Fachkräfte und Familienmitglieder in ihren Herkunftsländern fehlen und somit dort eine Versorgungslücke hinterlassen.
Während anlässlich des Equal Pay Day seit vielen Jahren über ungleiche Bezahlung und mögliche Lösungswege diskutiert wird, wurde der Gender Care Gap mit seinen sozialen Verwerfungen bislang kaum beachtet. Dabei ist der Gender Care Gap die Hauptursache für die schlechtere Bezahlung von Frauen. Es handelt sich dabei um ein strukturelles Problem, das die Chancen von Frauen und Care-Betroffenen im Allgemeinen (selbstverständlich gibt es auch Männer, die überdurchschnittlich viel Care-Arbeit leisten) verringert. Betroffene versuchen immer wieder im Individuellen Lösungen zu finden. Um echte Gleichstellung zu erreichen, um den schweren strukturellen Krisen in der Pflege und der Kinderbetreuung und auch dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, benötigt es aber gesamtgesellschaftliche Lösungen.
Um auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, wurde 2016 mit dem Equal Care Day am 29. Februar (alternativ 1. März) ein Aktionstag ins Leben gerufen, an dem bundesweit Veranstaltungen zum Thema Care-Gerechtigkeit stattfinden. Der Schalttag ist dabei bewusst gewählt: Der unsichtbare Tag soll die Unsichtbarkeit der Care-Arbeit symbolisieren. Ziel ist es, Politik und Wirtschaft dafür zu gewinnen, Care als Basis allen Wirtschaftens anzuerkennen und den Care-Bereichen entlang des ganzen Lebensverlaufs sowie ihren Akteur*innen die Rolle zukommen zu lassen, die ihrem gesellschaftlichen Wert entspricht.
Auch am 29. Februar 2024 werden sich wieder zahlreiche Initiativen zum Aktionstag zusammenschließen und in unterschiedlichen Städten Deutschlands und über die Grenzen Deutschlands hinaus Veranstaltungen organisieren, um auf den gesellschaftlichen Care Gap aufmerksam zu machen und Akteur*innen zu vernetzen. Einige der lokalen Veranstaltungen werden außer in Präsenzform, vor Ort in der jeweiligen Stadt, auch auf der digitalen Care-Landschaft des klische*esc e.V gestreamt. Bei der Care-Landschaft handelt es sich um eine virtuelle Simulation. Besucher*innen können mit einem Avatar in der Landschaft spazieren gehen und flexibel alle Bühnen mit den Veranstaltungen aus den unterschiedlichen Städten besuchen, so dass sich hier ein vielfältiges Programm bietet. Der klische*esc e.V. sorgt mit einer Kampagne für Reichweite und mediale Aufmerksamkeit.
Siehe für mehr Informationen auch: https://equalcareday.de/
[1] Im Global Gender Gap Index 2022 nimmt Deutschland in der Kategorie „Economic Participation and Opportunity“ lediglich Platz 75 unter 146 verglichenen Ländern ein. Siehe hierzu: World Economic Forum: Global Gender Gap Report 2022, Cologny/Geneva Switzerland 2022, S.15, https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2022.pdf (zuletzt abgerufen am 10.7.2023)
Zeit | Event |
---|---|
9:00 | Ankommen und Orientieren |
9:30 | Grußwort Dieter Reiter (Oberbürgermeister München, Schirmpate) |
9:40 | Begrüßung durch das Münchner Bündnis Equal Care |
9:45 | Begrüßung durch Almut Schnerring und Sascha Verlan (Gründer*innen des ECD, Schalte aus Graz) |
10:00 | “Eurovision-Care” (Schalte aus den anderen Städten, Vorschau auf den Tag) |
10:15 | Keynote I: Mareice Kaiser (SPIEGEL-Bestseller Autorin: Das Unwohlsein der modernen Mutter) |
10:45 | Pause |
11:00 | Keynote II: Dr. Amélie Sutterer-Kipping, (Juristin mit Schwerpunkt Arbeitsrecht, Hans-Böckler-Stiftung) |
11:15 |
Podiumsdiskussion: Care-gerechte Arbeitswelt
|
12:30 | Mental Load Test und Vernetzung |
13:00 | Mittagspause |
14:00 | Meike Harms (Bühnenpoetin) |
14:15 |
Workshops 1) Progressive Männlichkeit mit Boris von Heesen (Saal)2) Care-Chains mit Kiara Groneweg 3) Eltern von Kindern mit Behinderung mit Henriette Wich 4) Pflegende Angehörige mit Brigitte Bührlen |
15:30 | Vorstellung der Ergebnisse aus den Workshops auf der Hauptbühne |
16:00 | Abschluss der Tagesveranstaltung durch die Witches of Westend (Frauenchor) |
16:30 | Informeller Austausch und Netzwerken bei Kaffee und Kuchen im Foyer parallel Keynote III: Mareike Fallwickl (Stream der Vormittags-Keynote aus der Steiermark) |
18:00 | Einlass für das Abendprogramm |
18:30 | Jessy James LaFleur (Spoken Words Artist) |
18:45 | Live Musik: Blushy AM Support: Levin |
20:00 | Ende der Veranstaltung |
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