Ohne Sorgearbeit kein Leben: Erster Equal Care Day in München – ein voller Erfolg für das Bündnis

Equal Care Day München

 

Viel Schlaf war Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter am 29. Februar nicht vergönnt. Denn am Abend zuvor fand bekanntlich der alljährliche Starkbieranstich auf dem Nockherberg statt, wo Landes- und auch Münchens Lokalpolitik die Leviten gelesen werden. Aber als Schirmpate des ersten Münchener Equal Care Day ließ sich der OB die Eröffnung dieses Festivals trotz Schlafmangel nicht entgehen.

Ohne Care kein Leben

Erschöpfung, Dauerkrisenzustand, zu wenig Schlaf – neben unserem Stadtoberhaupt können Millionen Eltern, Alleinerziehende und pflegende Angehörige davon ein Lied singen. Mareice Kaiser, Spiegelbestsellerautorin, legte den Finger in die Wunde und betonte, dass die Rushhour des Lebens vor allem Frauen mit voller Härte trifft. Sie las auch aus ihrem Buch „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ und erzählte Geschichten von Frauen, die anderen Frauen den Rücken freihalten, damit diese den Schein aufrechterhalten können. Den Schein, dass Karriere, Kinder, Haushalt und Pflege von Angehörigen ohne systemische Veränderungen machbar wären. Ohne Care kein Leben. Wirtschaft und Politik profitieren von dieser unbezahlt geleisteten Sorgearbeit, die zu einem Großteil von Frauen erledigt wird. Der Dank dafür sind Burn-out, Teilzeitfallen, finanzielle Abhängigkeit und Altersarmut.

Equal Care Day München
Equal Care Day München

Kenne deine Rechte: Mutterschutz, Teilzeit, Elternzeit

Nach einer kurzen Live-Schalte zu anderen Equal Care Days in Graz, Hamburg und Düsseldorf stellten sich die Initiatorinnen des Festivals vor: Lena Schneck von Siaf e.V., Carmen Romano von der Petra Kelly Stiftung und Michaela Mahler von MIN und Bürgerstiftung haben diesen Tag durch ihr Engagement zusammen mit einem breiten Bündnis überhaupt erst ermöglicht. Die promovierte Arbeitsrechtlerin Amélie Sutterer-Kipping gab einen Überblick der gesetzlichen Lage und betonte die hohe Teilzeitquote unter Frauen und den Zusammenhang mit dem Gender Pension Gap. Teilzeit per se sei nichts Schlechtes, die Entscheidung dafür ist jedoch nicht immer freiwillig. Auch der Mutterschutz wird zwar in Deutschland großgeschrieben, aber durch befristete Arbeitsverhältnisse ausgehöhlt.

Care Utopien: Wo sind die Equal-Kerle?

Die Podiumsdiskussion, moderiert von Barbara Streidl, hatte zum Thema, wie Utopien bei Sorgearbeit endlich Realität werden können. Die Abschaffung des Gender Pension Gaps und die Aufteilung der „zweiten Schicht“, die zuhause wartet. Zeit, die nicht mehr mit Abhängigkeit erkauft werden muss. Und Männer, die als Equal-Kerle für eine gerechte Verteilung von Sorgearbeit einstehen und so zu Verbündeten werden. Bist auch du ein Equal-Kerl? Einen Test dazu gibt es hier.

Auf dem Podium diskutierten rege Meike Böttger von power_m, Dr. Amélie Sutterer-Kipping von der Hans Böckler Stiftung, Simone Burger von DGB München, Dr. Gabriele Jahn von SWM und Thorsten Bühner von Fairstärkung. Fazit: um diese Utopien in die Realität umzusetzen zu können, braucht es klare und auch kollektive Forderungen wie zum Beispiel:

  • Eine 32 Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich, die Männern mehr Zeit für Sorgearbeit gäbe und Frauen vor Teilzeitfalle und Altersarmut bewahren würde
  • Zwei Wochen gesetzlichen Vaterschaftsurlaub, der bereits von der EU in die Wege geleitet wurde, aber bisher vom Justizministerium ignoriert wird
  • Die Eindämmung von unbezahlten Überstunden, damit für Vollzeitarbeit nicht mehr ein Teilzeit-Lohn bezahlt wird
  • Eine gestärkte Mitbestimmung in den Unternehmen sowie Streiks durch kollektiven Zusammenschluss

Mental Load: Take Care!

Vor der Mittagspause gab es noch die Möglichkeit, den Mental Load Test zu machen. Fazit: akuter Schlafmangel und Redebedarf mit dem Partner und der Partnerin! Auch deshalb appellierte die Bühnenpoetin Meike Harms nach dem Fingerfood Buffet an das innere Faultier: „Take Care – ich brauche dich, also pass auf dich auf!“. Ihre Gabe, mit Worten zu jonglieren und Wortspiele einzustreuen, begeisterte den vollen Saal und ebnete das Mindset hin zu den Workshops

Workshops: Austausch für Betroffene, Selbstfürsorge und politische Dringlichkeit

Der Workshop von Boris von Heesen zu progressiver Männlichkeit war der am besten besuchte. Wer fehlte waren – Männer. Es bearbeiteten vor allem Frauen Themen, die sich nicht ohne die Mitarbeit der Männer ändern lassen. Nach einigen Fakten über die ungerechten und negativen Folgen der aktuellen Rollenbilder sowie deren Kosten für die Gesellschaft – 63 Milliarden Euro pro Jahr – wurde erarbeitet, wie progressive Männlichkeit aussehen könnte. Die Teilnehmenden tauschten sich aus, von welchen neuen Männlichkeitsattributen sowohl Männer als auch die Gesamtgesellschaft profitieren könnten. Dazu zählten „Selbstfürsorge“, „schwach sein dürfen“, „Emotionen zeigen“, „Kooperation statt Konkurrenz“ und vieles mehr. Der Workshop kam zu dem Schluss, dass so auch Männer mehr Gerechtigkeit, Wachstum und Entlastung erleben könnten.

Kiara Groneweg von WECF betonte die globalen Auswirkungen der ungerechten Verteilung von Sorgearbeit. Denn die gesellschaftliche Erwartungshaltung, dass Frauen Karriere machen und Kinder kriegen sollen, führt nicht automatisch dazu, dass Sorgearbeit verschwindet. Reichere Länder ziehen Fachkräfte aus ärmeren Ländern ab, und sorgen dafür, dass dort das Personal fehlt. Und oftmals fehlt rechtlicher Schutz für diese ausländischen Fachkräfte, die häufig unter den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und Diskriminierung leiden.

Für Kinder entscheiden wir uns – für einen Pflegefall nicht! Brigitte Bührlen von der Stiftung pflegender Angehöriger unterstreicht in ihrem Workshop, dass über 80% der Pflege ohne Rechtsgrundlage und unentgeltlich erledigt wird. Dabei ist die Datenlage schwierig und das gesetzlich zugrundeliegende Familienbild noch aus bismarckschen Zeiten. Wichtig wäre ein Zusammenschluss von Betroffenen, politischer Druck und eine Bedarfsorientierung staatlicher Stellen beim Thema Pflege.

Ebenfalls vor ganz besonderen Herausforderungen stehen Eltern von Kindern mit Behinderung. Zusammen mit Henriette Wich wurden bewegende persönliche Geschichten ausgetauscht, in denen sich viele Betroffene wiederfinden konnten. Ein Hauptaugenmerk lag auf Selbstfürsorge in Zeiten der Selbstaufgabe und der Erkenntnis: Wir müssen es nicht alleine schaffen!

Equal Care? Von Equal mehr!

Mit tollen Klängen den Tag ausklingen lassen: das schaffte der Frauenchor „Witches of Westend“ mit ihren Adaptionen zu bekannten und selbst komponierten Liedern, wie z.B. „Ich möchte einfach nur schlafen, mitten am Tag, schlafen“. Wer konnte da nicht mitfühlen?

Zum Schluss heizten Jessy James LaFleur rhetorisch und Blushy AM musikalisch ein und die Organisatorinnen stellten fest, dass der Equal Care Funke nun auch auf München übergesprungen ist. Denn in der teuersten Stadt Deutschlands braucht es mehr Gerechtigkeit – auch bei der Verteilung von Sorgearbeit.

 

 

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