Die MIN darf jetzt losfliegen – Interview mit Barbara Wolter und Carmen Paul

MIN e. V. steht für Vernetzung, Veränderung und Nachhaltigkeit in München. Was vor fast zehn Jahren als Idee begann, ist auf dem besten Weg, ein eingetragener Verein zu werden. Dieser Meilenstein ist nicht nur für das MIN-Team, sondern auch für alle Unterstützer*innen und Wegbegleiter*innen etwas Besonderes.
Wir haben mit der Bürgerstiftung gesprochen, die MIN von Anfang an geprägt, begleitet und weiterentwickelt hat. Im Gespräch mit Carmen Paul, Geschäftsführerin und Vorständin der Bürgerstiftung München, und Barbara Wolter, Mitgründerin und bis vor einiger Zeit langjährige Vorständin der Bürgerstiftung, geht es um die Anfänge, den Gegenwind, die Erfolge – und was sie sich für MIN wünschen.
MIN e.V. ist heute Mitte April 25 fast ein Verein. Wie fühlt sich das an?
Carmen:
Ich bin wirklich stolz, denn es war ein enormer Kraftakt für die Bürgerstiftung, dieses MIN-Bündnis aus dem Hintergrund zu verstetigen. Auf der einen Seite sind wir natürlich Bündnispartner und gestalten aktiv mit. Auf der anderen Seite haben wir dem Bündnis eine Struktur gegeben, damit es funktioniert.
Das war für eine Stiftung wie die Bürgerstiftung, die zum großen Teil auch ehrenamtlich arbeitet, eine ganz große Herausforderung. Ich bin froh, dass wir das in guter Zusammenarbeit auf die Beine gestellt haben und uns unterwegs nicht die Luft ausgegangen ist. Das hätte auch passieren können.
Gehen wir zurück – wann würdet ihr die Geburtsstunde von MIN sehen?
Barbara:
Da muss ich etwas ausholen. Bereits 1992, mit der in Rio beschlossenen Agenda 21, bildete sich eine engagierte Gruppe, die sich in München dem Thema Nachhaltigkeit widmete. Im Zuge der Selbstverpflichtung der Stadt startete München den sogenannten Agenda-21-Prozess, der sich über zwei Jahre erstreckte. In diesem Rahmen arbeiteten fünf Arbeitsgruppen – etwa zu den Themen Lebensstil und Mobilität – regelmäßig zusammen. Daraus gingen rund 100 konkrete Ideen hervor, darunter Konzepte wie Repair Cafés oder das ÖkoProfit Projekt der Stadt München. Die Frage nach der Verstetigung des Prozesses führte dann zur Gründung der Bürgerstiftung im Jahr 2000, mit dem Ziel, finanzielle Mittel zu akquirieren.
2015 wurde die Agenda 2030 von der Vereinten Nationen beschlossen. Sie knüpft an die frühere Agenda 21 an, geht jedoch einen Schritt weiter: Sie greift neue weltweite Herausforderungen auf und entwickelt die bisherigen Ansätze weiter.
Im Mittelpunkt stehen die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, auch Sustainable Development Goals (SDGs) genannt. Mit Unterzeichnung der Agenda 2030-Städtetags-Resolution im Jahr 2016 hat sich die Stadt München verpflichtet, diese SDGs bestmöglich umzusetzen. Es erschien sinnvoll, die ebenfalls für die Umsetzung der Ziele engagierten zivilgesellschaftlichen Organisationen zu bündeln, um als Ansprechpartner sichtbarer zu werden und eine stärkere Beteiligung zu erreichen. Um hierfür eine Grundlage zu schaffen, formierte sich eine feste Gruppe von sechs Aktiven. Zu den Mitgliedern der Gruppe zählten Thomas Ködelpeter (Ökologische Akademie e.V.), Mona Fuchs (damals Netzwerk Klimaherbst e. V.), Katharina Habersbrunner (WECF), Uli Mössner (damals E. F. Schumacher-Gesellschaft e. V.), Erich Eisenstecken (damals Selbsthilfezentrum) und ich (BürgerStiftung München). Später kam auch Carmen Paul dazu. Alle brachten ein starkes Netzwerk mit und teilten das Ziel, Nachhaltigkeit weiter in die Stadtgesellschaft zu tragen.
Die eigentliche Geburtsstunde der MIN war dann der Kongress 2019. Die Vorbereitungen wurden größtenteils ehrenamtlich geleistet. Unterstützt wurde das Vorhaben von verschiedenen Organisationen.
Der Kongress war mit über 400 Teilnehmenden gut besucht, teils sogar überfüllt. Die im Vorfeld geführten Gespräche trugen dazu bei, viele Institutionen und Einzelpersonen zu gewinnen. Allerdings gab es auch Kritik: In den sogenannten Manufakturen, die schon zum Kongress angelegt wurden, sei die Diskussion stellenweise aus dem Ruder gelaufen.
Vom Kongress zur MIN-Gründung, was waren die Schritte?
Barbara:
Der Kongress war ein voller Erfolg – es gab viel Presse und Resonanz. Doch gleichzeitig waren die Initiator*innen danach sehr erschöpft und es gab keine klare Strategie, wie es weitergehen sollte. Es gab den Versuch, die sogenannten Manufakturen, also die thematischen Arbeitsgruppen des Kongresses, nach dem Event weiterzuführen. Das hat nicht überall geklappt – aber einige Gruppen blieben aktiv und arbeiteten weiter. Für die langfristige strukturelle Unterstützung spielte die BürgerStiftung eine wichtige Rolle – sie wurde zur „Mutter-Organisation“ des Netzwerks.
Carmen:
Ein eigener Verein sollte bewusst nicht gegründet werden, aber die Stadt wiederum brauchte eine gemeinnützige Organisation, um nachhaltige Förderung möglich zu machen – etwa durch das Referat für Gesundheit und Umwelt (später Referat für Klima und Umweltschutz). Auf Dauer war eine juristische Verfasstheit notwendig. Deshalb wurde die Verwaltung über die BürgerStiftung geregelt.
Werfen wir einen Blick auf die Anfänge 2019 und vergleichen sie mit heute, 2025: Wie würdet ihr die Lage heute beschreiben?
Carmen:
Corona war ein riesiger Einschnitt. Persönliche Treffen fielen weg – und es ist unklar, ob sich das jemals wieder richtig eingespielt hat. Der Schwung, der vorher da war, scheint verloren gegangen zu sein. Auch die Themen haben sich verändert: Heute stehen Krieg, Aufrüstung und geopolitische Spannungen im Vordergrund, gesellschaftlicher Rechtsruck. Seitdem hat das Thema Nachhaltigkeit deutlich an Sichtbarkeit verloren. Früher war das viel aktiver.
Treffen und Zusammenarbeit sind durch die äußeren Umstände zusätzlich erschwert. Das Gefühl ist: Das Thema wird weniger wichtig wahrgenommen – obwohl es eigentlich dringender denn je wäre.
Erfolgreiche MIN-Projekte?
Barbara:
Für mich zählen die fortwährende Arbeit zur Fairen Wiesn im konstruktiven Dialog mit Politik und Wirtschaft sowie die Arbeit zur vielfältigen Gestaltung des Westendquartiers zum Erfolg.
Was wünscht ihr euch für MIN e. V. in Zukunft?
Barbara:
Ich könnte mir die Zusammenarbeit mit Künstler*innen vorstellen, da es schwierig ist, Menschen allein durch Fakten zu erreichen. Ein Beispiel für die künstlerische Umsetzung eines Missstands ist das Hendlkarussell auf der Fairen Wiesn.
Carmen:
Die MIN sollte die wichtige Arbeit der Vernetzung weiterverfolgen, denn in der Gemeinschaft erreichen wir mehr als allein. Irgendwann würde ich mir einen zweiten Kongress wünschen, der für Bürger*innen geöffnet ist.
Die MIN darf jetzt losfliegen (lacht).